Tag 10: „Grenzerfahrung“

Sonntag 25. September 2016

Radstrecke: Sistiana – Triest – Buzet (HR) = 75 Km, Gesamt: 635 km
Fahrzeit 5 Std. 57, Durchschnitt 12.6
Wetter: ganzer Tag sonnig, 25 Grad,

Etappenübersicht (www.gpsies.com)

Etappenübersicht (www.gpsies.com)

Angefangen hat der Tag ja wie im Bilderbuch. Der Himmel schon am Morgen strahlend blau und unseren nette B+B Gastgeberin Chiara hatte uns den Frühstückstisch im Garten gedeckt und wir stärkten uns mit feinem Fruschtsalat, Joghurt und typisch italienisch Biscoti für einen langen Tag.

Frühstück im Garten

Frühstück im Garten

Die Fahrt nach Triest war einfach traumhaft. Wir mussten uns zurückhalten um nicht bei jedem tollen Aussichtspunkt ein Foto zu machen. Der Verkehr war wie erwartet ruhig nur an der Promenade in Triest war schon einiges los. Vor allem die älteren Semester waren früh aufgestanden und hatten sich den Liegestuhl geschnappt um an der Promenade die begehrtesten Plätze für das Sonnenbad zu reservieren. Da haben es die Liegeradler zum Glück bedeutend einfacher. An die Promenade fahren, freien Platz suchen, anhalten und die Sonne geniessen. Der Liegestuhl ist ja immer mit dabei 😉

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Traumhafte Ausblicke über die Bucht

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Die sonntäglichen SonnenanbeterInnen an der Promenade von Triest

Ich bin auch ein Liegestuhl.

Ich bin auch ein Liegestuhl.

Wir kamen ganz gut durchs Zentrum von Triest und am Hauptbahnhof kauften wir im Kiosk noch die letzten vorhandenen Waserflaschen, da wir heute eher etwas abseits unterwegs sein würden. Aber doch hofften wir natürlich da und dort mal eine Gelegenheit für eine Zwischenverpflegung zu finden.

Der Bahnhof in Triest erstrahlt im Galn vergangener Tage

Der Bahnhof in Triest erstrahlt im Glanz vergangener Tage

Da wir nun die istrische Halbinsel in einer Diagonale durchfahren wollten, mussten wir uns in Triest etwas links halten und langsam an Höhenmeter gewinnen. Immer wieder sahen wir die Hinweisschilder welche uns auf den Radweg der „Parenzana“ führen würde. (Mehr Infos unter: www. bahntrassenradwege.de/Index.php?page=parenzana“ ) Der Weg ist also auf einer nicht mehr in Betrieb stehenden Bahntrasse errichtet worden und zeichnet sich so mit moderaten Steigungen aus. Tönt ja mal ganz gut. Wenn der Weg dann aber vor allem aus groben Steinweg (=Rüttelpiste) besteht, wird das mit einem voll beladenen Bike schon ziemlich anstrengend.

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Zwar hatten wir da schon einige Höhenmeter hinter uns, aber soweit fühlten wir uns noch recht gut.

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Mit der Zeit werden solche Wege recht anstrengend.

Es war erstaunlich viel los auf diesem Weg. Velofahrer und Wanderer genossen den Sonntag auf dem Weg der „Freundschaft und Verbundenheit“ und wir hatten das Gefühl kaum vorwärts zu kommen. 6 – 9 km zeigte unser Tacho, definitiv zu wenig für eine lange Etappe. Und was ich am Vortag über „ideale Radlertemparatur“ geschrieben habe, ist natürlich nur, wenn auch zügig gefahren werden kann und der Fahrtwind einem so auch abkühlt. Für eine lange Bergauffahrt war es definitiv zu heiss. Unser Wasservorrat schrumpfte immer mehr und weit und breit keine Füllstation in Sicht. Erstaunlich, dass hier im Gegensatz zum Vinschgau noch niemand auf die Idee gekommen ist, mit den durstigen Radleren und Wanderer ein Geschäfft zu machen. Wir begannen die Wasservorräte immer mehr einzuteilen und als diese schon fast leer waren, trafen wir auch eine Veranstaltung des italienischen Zivielschutz und Bergrettungsdienst, die am Radweg einen „Informationstag“ veranstalteten. Die „Retter“ spendierten uns Kühlers Wasser und wir revanchierten uns mit einer Spende. So konnten wir mit neuen Vorräten weiterfahren.

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Endlich frisches Wasser, Grazie

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Wir erreichen Slovenien

Kurz darauf passierten wir die „grüne Grenze“ und kamen in Slovenien an. Immer weiter Bergauf, immer auf anstrengendem Schotterweg und kein Ende in Sicht. Der Blick auf die Karte verriet uns, dass wir weit hinter der erhofften Marschtabelle zurücklagen. Aber irgendwie könnten wir ausser dem angepeilten Buzet keinen vernünftigen Ort auf unserer Route ausmachen, wo wir die Etappe beenden konnten. Kurz vor 15 Uhr hatten wir endlich das Ende des Radwegs erreicht und konnten nun die nächsten Strecke wieder auf geteerten Strassen unter die Räder nehmen. Wir kamen gut voran und die „weiss markierten“ Nebenstrasse war ein Traum. Hoch über dem Karstgebirge genossen wir die Fahrt und und schöpften wieder Zuversicht das Ziel doch noch zu erreichen. Doch bald darauf endete die gute Strasse im kleinen Ort Crnotice. Am Ende des Dorfes, wo unsere Strase weiterführen sollte gab es nur noch einen schlechten Schotterweg. Wir kehrten nochmals um und fragten einen Einheimischen: „Geht es hier wirklich nach Popec?“. Nach kurzem Zögern kam ein überzeugtes „Ja“, also fuhren wir weiter.

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Gleich hinter dem letzten Haus war die Strasse zu Ende.

Der Schotter wurde immer weicher und tiefer und an ein Fahren war bald einmal nicht mehr zu denken. So schoben wir die Räder unter grosser Kraftanstrengung die kurzen aber oft steilen Anstiege hoch und versuchten beim hinunterfahren im viel zu weichen Schotter mit den schwer beladenen Rädern nicht umzufallen.

Zu steil und zu rutschig und es wurde immer schlimmer.

Zu steil und zu rutschig und es wurde immer schlimmer.

Weit und breit kein Mensch mehr, keine Häuser, die Sonne brannte vom Himmel und das Wasser ging wieder zur Neige. Wenn wir nicht bald eine Vernünftige Strasse finden würden, könnten wir das Tagesziel vergessen und mussten für die Übernachtung wohl improvisieren. Endlich, nach vielleicht einer Stunde erreichten wir eine kleine Siedlung.

Typisches Dorf im gebirgigen Herzen von Istrien

Typisches Dorf im gebirgigen Herzen von Istrien

Ein älterer Mann sagte etwas zu uns, was wir aber nicht verstanden. Ich fragte „Voda?“ und er nickte. Kam hinunter und stellte uns am Brunnen kühles Wasser ein, mit dem wir unsere Flaschen wieder füllen konnten. Endlich hatten wir hierher eine „höher klassierte“ Strasse erreicht, die nun hoffentlich durchgehend asphaltiert sein würde. Den nun begann der Wettlauf mit der Zeit. Unterwegs hatte uns jemand Gesagt, dass der kleine Grenzübergang den wir nehmen wollten um 18.00 Uhr schliesst. Es war mittlerweile kurz davor und die Strasse war nach wie vor sehr hügelig, unsere Beine müde und so schafften wir es nicht mehr alle Steigungen zu fahren. Beim Schieben sinkt das Tempo noch mehr und uns war klar, bis 18.00 Uhr ist die Grenze nicht mehr zu schaffen. Vielleicht lassen sie ja wenigstens Fussgänger und Radler durch.
Dann endlich tauchte das Gernzgebäude auf einer Hochebene auf und als wir näher kamen atmeten wir auf, den hier waren die Öffnungszeiten bis 22.00 Uhr angegeben. Der Anwesende Zöllner sah sich wortlos unsere Dokumente an und öffnete die Barriere. Wir hatten es geschafft, waren in Kroatien angekommen.
Kurz darauf passierten wir einen Stacheldraht Zaun, welcher die Flüchtlinge aus dem Süden an ihrer Weiterreise in den Norden hindern sollte. Schlagartig empfanden wir unsere „Strapazen“ als absolut unbedeutend. Wir waren schliesslich freiwillig hier und machte eine solche Tour zur Erholung. Zudem war immer klar, dass wir irgendwo ein Bett, etwas zu Essen und zu Trinken bekommen würden, den wir hatten ja Bargeld und gültige Papiere. Wie müssen sich die Menschen fühlen, welche aus ihrer Heimat fliehen müssen weil einige selbstsüchtige Idioten ihnen auf verschiedenste Weise die Lebensgrundlage entziehen, sei es durch physische oder wirtschaftliche Gewalt. Wenn sie mit allem was ihnen geblieben ist, den Kindern und Eltern an diese Stacheldratwände laufen? Was geht wohl in ihnen vor? Und wir haben noch vor ein paar Minuten über unsere Situation „gejammert“.

Bei diesem Anblick war alles nur noch halb so "schlimm".

Dieser Anblick hat alles relativiert.

Bis Buzet waren es noch gut 14 Kilometer, aber zum Glück meist bergab. Kurz nach 19.00 Uhr erreichten wir völlig erschöpft und ausgelaugt Buzet. Ein Hotel war zum Glück schnell gefunden und die erfrischende Dusche brachte die Lebensgeister wieder zurück. Etwas Essen und gute Erholung wird uns nun gut tun, den Morgen geht es nochmals hügelig weiter, aber wir fahren sicher nicht mehr auf einer „weissen“ Strasse

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